Reiseberichte aus Indien und der Briefwechsel mit Sir Robert of Cawdor - von George Blueman

(Vor der weiteren Lektüre möge der gewogene Leser gerne zumindest die Erklärungen zum Thema -De Profundis- konsultieren!)


(Sollten sich beim Übertragen der Unmengen der Texte Tipp- oder sonstige Fehler ergeben haben, so deuten Sie bei der Lektüre diese bitte gnädigigerweise und wohlwollend betrachtend einfach nur als weiteren Versuch der zugegebenermaßen fiktiven Figuren Blueman oder Sir Robert mittels unterschwelliger Botschaften im Namen dessen, der nicht genannt werden darf, die Weltherrschaft an sich zu reißen) :-D CTHULHU FHTAGN

 

DRAMATIS PERSONAE

dieses Briefwechsels

George Blueman (virtueller Charakter des Menschen hinter dieser Homepage) - der bislang nur mäßig erfolgreiche Schriftsteller, der durch die Erlebnisse im Orient-Express "nachgereift" ist - genießt Indo-China in vollen Zügen
George Blueman (virtueller Charakter des Menschen hinter dieser Homepage) - der bislang nur mäßig erfolgreiche Schriftsteller, der durch die Erlebnisse im Orient-Express "nachgereift" ist - genießt Indo-China in vollen Zügen
Seine Lordschaft Sir Robert William Phillip, Thane of Cawdor, in seinem lange unverlassenen Arbeitszimmer, in dem er sich mit wachsendem (Wahnsinns-)Eifer dem Studium nicht ungefährlicher Literatur widmet.
Seine Lordschaft Sir Robert William Phillip, Thane of Cawdor, in seinem lange unverlassenen Arbeitszimmer, in dem er sich mit wachsendem (Wahnsinns-)Eifer dem Studium nicht ungefährlicher Literatur widmet.

 

Wie alles begann -

der erste Brief an die alten Weggefährten nach der Reise der nunmehr Verschworenen mit dem Orient-Express - Die Tages- und Monats-Daten der 1920er (siehe Erläuterungen) entsprechen den Daten im jeweils laufenden Jahr der "Jetzt-Zeit" auch in den Wochentagen (1921 = 2011; 1922 = 2012 usw.).

 

Verehrte Freunde,

ich mache mich auf den Weg über den großen Ozean und in Lande noch weiter dahinter. Meine Fährte führt mich gen China. Habe eine junge, möchte auch unverblümt einräumen, gar ansehnliche Frau der asiatischen Art kennen gelernt, welche mich mit einem geheimnisvollen und weit gereisten Mann in Verbindung bringen will aus persönlichen Gründen, die sie mir nicht erläutern mag. Dieser Herr wird hoffentlich einen weiteren Schleier von meinen, noch die Nacht nicht durchdringenden, Augen nehmen. Ihr seid beschäftigt in Deutschland, wie ich höre, dennoch möchte ich Euch an meinem Weg teilhaben lassen. Vielleicht auch in der Befürchtung, dass Ihr eines Tages meiner Spur folgen werdet. Ich werde mit der BREMEN - ja, Freunde, haltet mich nicht für verrückt - in einem nicht ganz offiziellen Flug mich auf den Weg machen. Die deutschen Piloten sind ehrgeizig darin zu beweisen, dass mancher Weg mit dem Flugzeug möglich ist, der ihm nicht zugetraut wird. Eine Gelegenheit für mich, ohne viel Aufsehen meinen Weg weiter zu gehen. Anbei schicke ich Euch ein Bild von Mrs. Li, der Shangheierin. In Gedanken bei Euch und hoffend, Euch nicht allzu sehr verschreckt zu haben mit meiner letzten Nachricht, so dass wir uns bald wiedersehen, George Blueman

 

Und nach diesem kurzen und unüberlegten Einstieg begann die "Sache" von den Betroffenen Besitz zu ergreifen...

Hier also der bisherige Briefwechsel, der "in die Tiefe" führte...

 

G. Blueman derzeit Suthri Gujarat - Indien

An seine Lordschaft Sir Robert of Cowdor

Donnerstag, den 24.8.1921

Geschätzter Freund und Weggenosse, lieber Sir Robert, ich habe die wüsten Gegenden hinter mir gelassen und reise nun in die indischen Lande, immer entlang am malerischen Küstenstreifen. Ich schreibe Ihnen mit meiner kleinen und treuen Reiseschreibmaschine, denn wie Sie bemerkt haben dürften, leidet meine Handschrift nicht nur unter den Entbehrungen der langen, aber beeindruckenden Reise. Aber ich möchte dies nicht als Ausrede benutzen, denn Sie wissen selber allzu genau, wie sehr auch die unkörperlichen Gebrechen das sichere Führen eines Füllers beeinträchtigen können. Ihren Briefen entnehme ich, dass auch Sie noch damit beschäftigt sind, die Ereignisse aufzuarbeiten, es Sie aber mindestens im gleichen Maße dazu drängt, weiteren Unstimmigkeiten der Welt auf den Grund zu gehen. Sie müssen mir bei unserem nächsten Treffen unbedingt davon berichten, auch, wenn ich durchaus glaube, dass bis dahin noch einige Monate vergehen dürften, denn, wie ich Ihnen bereits schrieb, bin ich auf dem Weg nach China. Mir ist – wie ich ja schon erwähnte - bei meinen Recherchen Einiges zu Ohren gekommen und die BREMEN hat mich ein ganzes Stück weiter gebracht. Da der Flug nicht ganz offiziell war, musste ich mit dem Ziel der Piloten vorlieb nehmen, so dass ich an der indischen Grenze wieder per Pedes weitergehen musste. Derzeit befinde ich mich in der Nähe der indischen Küstengewässer, genauer gesagt schreibe ich Ihnen aus einem Dorf namens Suthri, noch genauer: meine wundervolle Begleiterin, die alte Reiseschreibmaschine Marke Remington, ruht auf meinem Schoss, während ich auf den Stufen des Suthari Jain-Tempels sitze, einem kleinen indischen Tempel, der Symbol einer viel größeren Glaubensgemeinschaft ist. Eine Straße, wenn dieser Feldweg diesen Namen verdient, führt in direktem Wege ca 3-4 Kilometer entlang bis zum Meer. Die Bewohner sind freundliche Menschen, die friedliche und neugierige Blicke in meine Richtung werfen. Speziell die Kinder, auf die ich wie ein Wesen von einem anderen Stern wirken mag, sind belustigt von meinem staunenden und allzu unindischen Auftreten. Aber ich wollte Ihnen doch vom Tempel schreiben, der auch gepaart mit der betreffenden Begebenheit ein Beispiel für Letzteres sein mag: Natürlich muss auch der britischste aller Männer sich, will er den Unwillen der hier Lebenden nicht auf sich ziehen, einige Regeln beachten. Gegenstände aus Leder dürfen unter keinen Umständen in einen Jain-Tempel hinein. Die Jain-Religion ist die strikteste, was die Gewaltlosigkeit gegenüber Tieren betrifft, und was ist mehr ein Zeichen der Tötung von Tieren als Gegenstände aus Leder! Man plant das am besten vorher, denn sonst steht man ohne Geld und mit rutschender Hose da – ein Leder-Portemonnaie, ein Leder-Uhrenarmband, ein Ledergürtel, ein Anhänger an einer Lederschnur um den Hals – eigentlich unglaublich, wie viel Leder man so mit sich herumträgt. Es wird für Sie ein leichtes sein sich zu denken, wer beim Betreten des Tempels aus Unwissenheit plötzlich im Bettlergewand sich wiederfand. Die Achtung vor dem Glauben sollte einem gebieten, sich daran zu halten... und ich hielt mich daran, wenn auch unter den lächelnden Blicken der umstehenden Eingeborenen. Für menstruierende Frauen ist der Tempelbesuch ebenfalls nicht gestattet. Dies war aber ein geringeres Problem für mich, denn Mrs. Li begleitet mich erwartungsgemäß natürlich nicht, auch wenn ich mein Bedauern darüber nicht verschweigen kann. Nun, der Tempel ist klein und entspricht in seiner lichten und hellen Bauart dem Wesen der Menschen, die auch in sich eine gewisse Art der Lichtmystik beherbergen in reinen Herzen, deren Wonne und Gastfreundlichkeit mir derzeit sehr gut tun. Ich werde noch einige Tage hier auf meinem Weg ins Land des chinesischen Kaisers verweilen und die Unberührtheit des Dorfes genießen, abseits der politischen Wirren, die wir sonst mit den indischen Kolonien verbinden. Es sind einige Zeilen mehr geworden, aber ich genieße es, die Tasten meiner Begleiterin tanzen zu hören, möchte aber dennoch nicht den Grund für meinen Brief unterschlagen, nämlich Ihnen, Sir Robert, und den Geistern, die Sie begleiten und auch manchmal zu steuern scheinen, auf das herzlichste zu gratulieren zum Jubeltage des Geburtstages. Meine besten Wünsche begleiten Sie, sei es für Ihre Gesundheit, ihr Seelenheil oder auch die alltäglichen Herausforderungen des Berufes, wenn man die Verpflichtungen einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens so bagtellisierend benennen darf. In Verbundenheit und Ihnen alles Gute für Ihre Unternehmungen in Dresden wünschend stets zu Diensten, George Blueman

 

Mandvi – Gujarat (India), den 5. September 1921

Verehrter Sir Robert, ich habe meinen Weg fortgesetzt. Kurz nach Absenden meiner letzten Zeilen an Sie habe ich mich auf den etwa 100km langen Weg nach Mandvi gemacht, einem etwas größeren Örtchen ebenfalls in der Nähe des Meeres, jedoch mit einer kleinen Besonderheit versehen, welche mir den Ort interessant zu machen scheint. In der Mitte des Ortes findet sich ein See, der fast, wenn man die Karte betrachtet, einem spiegelnden Tor gleicht. Ich folge den Spuren des besagten Mannes, den die Shanghaierin Mrs Li mir anempfahl zu finden. Nun, er muss hier gewesen sein, denn: Stehe ich auch jetzt vor einer fast spiegelglatten Fläche, deren nur vom Wind sanft angestachelte Wellen friedlich gegen den Strand schlagen, mich fast verlocken dem derzeit warm-schwülen Wetter in ein erfrischendes Bad zu entfliehen, so wirkt der „Burgfrieden“ in den Straßen auf mich künstlich und mag nicht über die Anzeichen hinwegzutäuschen, die mir meine inzwischen auch so manches Verborgene erkennenden Augen nur allzu deutlich offerieren: Es sind viele einfache Leute unterwegs, die viele einfache Arbeiten tätigen und sie scheinen nicht müde zu werden – gleich einem bunten, wenn auch eher matt gefärbten, Ameisenhaufen – viele schwarze Flecken von den ansonsten auch erst vor kurzem getünchten Hauswänden zu entfernen oder zu übermalen. Fast stoisch und offensichtlich ohne viel Liebe zu ihrer Arbeit gehen sie daran, die Spuren von einigen Gerüchten zu beseitigen, die ich auf meinem Marsch über diesen unermesslichen Kontinent schon jetzt aufgeschnappt habe. Doch egal, welche Summe an Rupien ich bot: Niemand gibt mir nähere Auskunft. Selbst die sonst so zugänglichen und neugierigen Kinder, die lustlos vor sich hinspielen, sprechen nicht zu mir. Ein kleiner Junge sagte „tuulsa“ oder so ähnlich, als schon seine keifende Mutter auf ihn eindrang, nicht weiter mit mir zu sprechen. Die bisher von mir gelobte Gastlichkeit lässt in dieser Stadt mehr als nur zu wünschen übrig. Nein, ich möchte sogar behaupten, dass man mich mehr als argwöhnisch beäugt, wenn ich durch die Straßen schlendere. Der verblassende Gestank nach Angst liegt in der Luft, aber gleichzeitig scheinen die Menschen hier im Begriff zu sein, erleichtert einzuatmen, so, als hätten sie eine schwere Schlacht hinter sich. Nun, vielleicht irre ich mich auch, denn die Leute hier scheinen einen strebsamen Ruf zu haben. Sie bauen Boote und fahren mit ihnen hinaus auf´s Meer. Um so mehr verwundert es mich, dass sie diesen fast künstlich und kantig wirkenden See mitten in der Stadt haben, ja, ihn vielleicht sogar geschaffen haben, wenn auch wenig nützlich, lebt doch in ihm derzeit kein einziger auch nur im entferntesten nützlicher Fisch. Ich hatte gehofft, hier auf spannendere Geschichten zu stoßen, aber man lässt sich nicht auf meine ihnen wohl bekannte charmante Art ein. Man bleibt unter sich und meine Hoffnung, auf ein offenherziges Völkchen zu treffen, welches den Anblick Fremder nicht zuletzt auch wegen der prominenten Lage am Kreuzungspunkt einer alten Gewürzstrasse und einer alten Wüstenkamel-Handelsstrasse gewohnt sind, wurde jäh enttäuscht. Ich werde mich wohl alsbald auf den Weg weiter nach Westen begeben, denn diese Stadt, egal, wieviel Mühe sich der bunte Haufen von Menschen macht, steht fast sinnbildlich für das Übertünchen von Geschichten, die zumindest hier keinen Erzähler finden wollen, geschweige denn einen so bemühten Zuhörer wie mich. Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Sir Robert, und sie vergessen mich nicht so rasch. Ich freue mich auf ein Wiedersehen, was aber, aufgrund der endlos anmutenden Zahl der wie an einer Perlenschnur aufgereihten Städte noch weit entfernt scheint. Stets zu Diensten, G. Blueman

 

27.11.1921 (wohl Datum falsch ?!?)

Cawdor Castle, Schottland

Sehr geehrter Mr. Blueman, Ihr Brief hat mich nun endlich erreicht und ich hoffe, daß Sie bei bester körperlicher und geistiger Gesundheit sind. Ich hoffe doch sehr, daß Sie weiterhin das finden, was Sie suchen, doch machen mich Ihre Andeutungen ein wenig nervös, aber vielleicht sehe ich an jenem Ort Ungeheuer, wo in Wirklichkeit nur Windmühlen zu finden sind. Ich meinerseits versuche mich von den unerwarteten Strapazen der letzten Tage zu erholen, aber darüber reden wir am Besten auf Cawdor Castle oder wann auch immer sich unsere Wege in der fernen Zukunft wieder kreuzen mögen. Mit jedem Tage, den ich in meinem einst so trauten Heim verbringe, fühle ich mich doch um so mehr, wie in meinem eigenen Gefängnis. Gefangen in Gedanken, die mich Nacht für Nacht quälen und mir den Schlaf rauben. Und in meinen wenigen Stunden unerholsamen Schlafes, vermischen sich die Bilder alter Tage und kreisen hinter meiner Stirn in einem blasphemischen Reigen. So verbringe ich die meißte Zeit damit, jene Werke zu studieren, dessen Namen man nicht laut aussprechen sollte. Ich habe einige Passagen gefunden, dessen Eindeutigkeit unwiderlegbar sind und das bestätigen, was unsere Erlebnisse nur vermuten ließen, und dies in einem Ausmaß, der mich an die Grenzen des Wahnsinns führt, über den Horizont meines Verständnisses und Verstandes weit hinaus in ein Meer der Verzweiflung. Und es frißt mich um so mehr auf, dass ich dieses Wissen mit niemandem Teilen kann, nur mit Ihnen so weit entfernt, denn wie ich Ihnen bereits schrieb, kann und will ich den anderen Darstellen dieses dramaturgischen Theaterstückes, welches sich hinter dem Vorhang des menschlichen Geistes abspielt nicht trauen. Zu perfide ist es geschrieben, von Dichtern oder gar von dunklen Puppenspielern, die sich an Leid und Wahn ergötzen. George! Gibt es denn einen Gott? Oder ist er schon längst verstorben und an seiner sind jene Scheußlichkeiten getreten, denen wir nur allzu oft begegnet sind? George! Ich MUSS ES wissen! George! Wir müssen was tun! Geoxxaydg

 

Silvasa (Dadra und Nagar Haveli) Indien

22. September 1921

Verehrter Sir Robert, ich kann Ihnen gar nicht genug danken für Ihren Brief, der mich in der letzten Woche endlich erreicht hat. Auch, wenn ich wegen des Datums etwas verwirrt war, haben wir doch noch nicht November, sondern erst September, wenn die Uhren hier in Indien nicht ganz anders gehen. Nun, Sie werden Ihre Gründe dafür gehabt haben. Ihre Frage nach einem Gott vermag ich hier auf meinem Marsch nicht genau zu beantworten, denn ich erlebe hier eine vollkommen neue Welt der Götter und Mythen. Der Atem der indischen Gottheiten scheint hier aus jedem Ort und jedem Ding zu wehen und zu diesem Eindruck trägt auch der Geruch und der Geschmack dieses mehr als geheimnisvollen Kontinents bei. Mein Gaumen wird immer wieder auf´s Neue mit wundervollen Freuden liebkost, wenn er nicht grad von der Schärfe des Essens maltre-tiert wird, wenn Sie wissen, was ich meine. Dennoch bleibt mir im Moment wenig Zeit für die Studien dieser mystischen Welt der indischen Erzählungen, denn ich scheine nicht der einzige zu sein, der meinem Weg (wohin er mich auch führen mag) folgt. Wie ich Ihnen schrieb kam ich über die pakistanische Grenze nach Suthri und kam nach einem längeren Marsch nach Mandvi, diese Stadt der wenig Gastfreundlichen, die ich so dann auch verließ. Ich schlug mich gen Nord Osten, getrieben von dem unbestimmten Gefühl, dass ich genug Meeres- bzw. Küstenluft gerochen habe. Ich wollte nur weg vom Wasser, was mir nur in sofern gelang, als dass ich – wenn auch vom Meerwasser entfernt - derzeit in den Regen des Monsuns gerate, das Wasser quasi mich gefunden hat, wenn auch nur aus einer anderen Richtung. Bei Gundijali hörte ich die Leute erzählen von einer portugisischen Kolonie (oder einem Teil neben u.a. Goa). Nun, die Portugiesen sind ein weit gereistes und irgendwie auch zivilisiertes Völkchen. Was mich jedoch so sehr faszinierte, war, dass es in diesem Gebiet namens „Dadra und Nagar Haveli“ scheinbar eine Unzahl von Stämmen geben soll, die bunte Farben tragen und sehr freundlich sein sollen. Vielleicht erhalte ich von diesen etwas mehr Einblick in die Götterwelt und vielleicht kann ich hier ein wenig Zivilisation einatmen. Welch ein Zufall also, dass der Bote Ihren Brief mir hier zustellte, Gott weiß, wie er mich gefunden hat. Wobei – wenn ich es mir recht überlege – ich als einer der wenigen Engländer auf Fußmarsch in der Gegend, durchaus auffallen könnte. Nun bin ich hier, nach meinem etwa 730 km Marsch, wobei ich gestehen muß, dass ich natürlich jede Transporter-leichterung dankbar annahm, wenn sie sich bot. Und glauben Sie mir: bei 27° Celsius und dieser Monsun-feuchte war ich nicht wählerisch. Aber noch etwas hielt mich zur Eile an. Seid Mandvi habe ich das Gefühl, dass ein Mann mit einem Turban mich verfolgt. Nun ja, ich muss einräumen, dass es viele Männer mit Turban hier gibt. Aber dieser scheint anders. Ich sehe ihn nie von Nahem. Aber oft verschwandt eine Person rasch aus meinem Blickfeld, wenn ich mich manchmal umdrehte. Immer dieser übergroße dunkle Turban, größer als die anderen und das Gesicht verdeckend. Vielleicht täusche ich mich auch, denn auch, wenn ich mit einer der besagten Erleichterungen einige Kilometer den Umständen entsprechend rasch hinter mich gebracht hatte, so, dass ein zu Fuß noch so flinker Mann mich nicht hätte einholen hätte können, so oft kam ich im nächsten Dorf an und schien wieder einen Blick hinter mir hergeworfen zu bekommen, wenn ich die Stadt verließ, der mir nur eine allzu bekannte Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Ich weiß nicht, ob ich einem Rätsel zu nahe komme, vielleicht bin ich auch nur Opfer dieser schwülen Hitze gewesen, denn hier in Silvasa herrscht ein eher angenehmes Klima, das mir den Kopf klärt. Aber nach allem teile ich Ihr Begehr: Wir müssen etwas tun. Wir müssen mehr erfahren. Ich tue mein Bestes. Und wenn ich ans Ende dieses Kontinents laufen muss. Und ich werde weiter diesen Mann suchen, den Mrs. Li mir ans Herz legte. Vielleicht findet er auch mich. Wir werden sehen. Ich werde hier noch etwas Zeit verbringen. Beim nächsten mal mehr. Und: Passen Sie auf sich auf. Stets zu Diensten, G. Blueman

 

29/9/1921

Cawdor-Castle (Schottland)

Verehrter Mr. Blueman. George, ich möchte mich für die obskuren letzten Ausschweifungen in meinem letzten Brief an Sie entschuldigen. Ja ich kann mich so gar nicht recht erinnern, diesen abgeschickt zu haben. Die Tage, die ich in Dresden verlebte, haben mich anscheinend mehr mitgenommen, als ich es vermag zuzugeben zu wollen. Ich bewundere Ihre Ausdauer, ein solches Unterfangen, wie Sie es planten auch umzusetzen, gerade nach den Gegebenheiten im Orient Express, von denen Sie und dieser Resotti, ja nur kryptisch berichteten, obwohl mich die Andeutungen, die gemacht worden sind, erschaudern ließen. So habe ich gespannt und voll von Freude ein wenig Ablenkung zu erfahren, wie ein Kinde am Weihnachtstag ihren Brief empfangen und wenn ich mich Ihren ländlichen Beschreibungen so hingebe, vermag auch meine Seele wieder ein wenig ruhen. Sollten ihre Weg Sie jemals in die Nähe von Punjab führen, so lassen Sie es mich wissen, denn durch die English Indian Company hab erst jüngst, wie ich Ihnen auch schon geschrieben habe, wie ich vermeine, dort einige Ländereien günstig erworben. So werde ich keine Kosten und Mühen scheuen und meinen Verwalter dort zu bemühen, Ihnen ihre Reise ein wenig angenehmer zu gestalten und Ihnen für ein paar Tage Rast und Unterkunft nach guter alter britischer Manier zu gewähren. Liebend gerne würde selbst dort hin reisen, auf dass wir uns endlich wieder von Mann zu Mann, ja ich wage es sogar schon zu sagen von Freund zu Freund in die Augen zu blicken, aber ich muss auf Cawdor Castle verharren, da meine körperliche Verfassung in letzter Zeit nicht die Beste ist und ich mich geistig auch sehr in Mitleidenschaft gezogen fühle und mein Arzt mir ein wenig Ruhe dringendst empfohlen hat. Denn um ehrlich zu sein schreibe ich diesen Brief in Trauer, denn der Handelsreisende, ein gewisser Mr. Batki, den ich Ihnen gegenüber vielleicht sogar schon erwähnte, ist auf tragische Weise, während gemeinsamer Tage in Dresden verstorben und mich quält der Gedanke, sogar die vermutliche Tatsache, dass mir ein Löwenanteil der Schuld daran zusteht. Eine weitere unschuldige Seele, die sich in den Sog der blasphemischen Scheußlichkeiten, denen wir begegneten ziehen ließ und ihm zu Opfer fiel. So ist es vielleicht besser, dass wir derzeit meilenweit getrennt sind, besser für Sie und ihr Seelenheil. Und mag es noch so blasphemisch und pervers klingen, doch hat sich die Reise nach Dresden auf eine tragische Weise dennoch gelohnt, denn ist mir ein weiteres Werk über die unaussprechlichen Dinge in die Hände gefallen. Eine weitere Hoffnung auf Erleuchtung sich den namenlosen Dingen entgegenstellen zu können und ein Mittel zu finden gegen diese Krankheit, die sich unter der Fassade unseres Alttags langsam aber mit pflichtbewusster Stetigkeit ausbreitet. So sehe ich es nun als meine Aufgabe an, dieses und weitere Werke, die sich nun in meinem Besitz befinden in guter alter Studiosi Manier zu erforschen, doch erscheint sich mir ihr Inhalt immer wieder verschließen zu wollen, was mich allerdings nur noch mehr anspornt sie zu entschlüsseln. Und so erhoffe ich auch für Sie, dass auch Ihr Weg, soweit entfernt vom mütterlichen Schoß der Heimat sich entschlüsseln mag, wohin er auch immer Sie nun führen mag. Hochachtungsvoll verbleibend Sir Robert William Phillipe of Cawdor

 

Silvassa Stadt (Dadra&NagarHaveli) Indien

3. Oktober 1921

Verehrter Sir Robert, ich lerne schnell. Ich merke, dass die Ereignisse mich geprägt haben und es mir leichter fällt, mich in fremden Ländern rasch zu aklimatisieren und schnell die grundlegenden Pfeiler zu erfassen. So auch hier. Ich befinde mich in Silvassa selbst – wo der Bote mich mit Ihrem Brief auch vorfand, wobei ich auch nicht unauffällig zu sein scheine. Silvassa, diese bunte und farbenfrohe Stadt mit ihren scheinbar immerzu tanzenden und singenden Menschen. Sie blasen auf großen Hörnern und tanzen nach bestimmten Mustern, zu denen sie auf den Boden stampfen und schreiten. Jeder hat seinen Namen scheinbar. Der beliebteste Tanz scheint der Tarpa zu sein, aber es gibt wohl noch andere, den Gheria, Dhol oder den Bhavada. Jeder Tanz hat für diese Menschen scheinbar einen bestimmten sich mir nicht immer erschließenden Zweck und dient dazu, einen in ihrem Aberglauben irgendwie gearteten magischen Effekt zu kreieren. Dabei gibt es immer einen die anführenden Tänzer, der mit einem langen & seltsam verzierten Stab, den sie Ghol kanthi nennen, auf den Boden schlägt, während die anderen Tänzer sich um Tanz um den Musi-kanten bewegen, der – zumindest beim Tarpa-Tanz - ein aus Bambus gebautes Blasinstrument bemüht, welches auch Tarpa genannt wird. Jeder Stamm hier, und davon gibt es reichlich (ich kenne bisher nur ein paar Namen), hat wohl seine eigen Tänze, einige Tänze verbinden die Stämme, nicht alle benutzen die gleichen Instrumente. Die Varli und die Kokna tanzen z.B. den Dhol-Tanz, oder, wie sich mir nachher erschloss: den Trommel-Tanz. Die Trommeln erschallen momentan häufig, denn ab September bis zum Holi-Fest, dem Frühlingsfest, wird dieser Tanz gerne aufgeführt. Er soll die Götter des jeweiligen Dorfes in der Nacht milde stimmen und zum Schutz anhalten. Jedes Dorf scheint dazu dann auch seine eigenen Masken hervorzuholen, die mir fast noch mehr eine Gänsehaut bereiten als die seltsamen Zeichen und Tätowierungen, die manche der Eingeborenen hier auf ihrem Vorderkopf tragen. Speziell der Koknas-Stamm tut sich hier beispielhaft hervor. Ich mag manchmal nicht glauben, dass diese Menschen, die am Tage so ruhig, fröhlich und bunt gekleidet sind, in der Nacht so ungebremst extatisch werden, ja scheinbar mit ihren Trommeln die Erde beschwören mögen, sich aufzutun und dem ganzen von akrobatischen Treiben, teilweise körperlich spürbarer Angst vor ihren Gottheiten und ungestümen Ausbrüchen verzweifelten Lebensmuts beglei-teten Urgesang Einhalt zu gebieten. Gerne möchte ich sie gerne verstehen und manchmal habe ich Glück, einem durch die Krone mit der Zivilisation gereinigten Menschen zu begegnen, der meiner Sprache mächtig ist. Aber es ist wie immer: Zu den vielen kleinen Geheim-nissen kommt man nicht heran. Wer kann es diesen Menschen verdenken, leiden sie doch unter der portu-gisischen Knute. Allerdings fühle ich mich hier nicht von allen so abgewiesen. Aber zu etwas anderen, denn ich habe den Mann mit dem Turban wieder gesehen. Auch ist mir nun klar, warum er mir in dieser Gegend so auffällt, denn der kunstvolle Turban, den er trägt, ist nicht unbedingt typisch für diesen Landstrich. Einer meiner glücklichen Kontakte erläuterte mir auf meine Beschreibung hin, dass dies der typische Turban eines Sikh sein soll, einem Angehörigen einer Religions-gemeinschaft, welche – und hier nehme ich bezug auf Ihren Brief und Ihr Angebot – ihren Ursprung in der Punjab-Provinz haben, der Gegend also, wo Sie, Robert, Ihre Ländereien gekauft haben. Vielleicht irre ich mich auch, denn diese Inder sehen irgendwie alle ähnlich aus und sie beherrschen die Kunst, ihr Gesicht unter einem Turban zu verbergen genauso wie der beste englische Gentleman, der versucht sein Gesicht vor einem ungern gesehenen Bekannten auf der Straße im Londoner Regen zu ver-stecken. Was mich wiederum zu meiner Warnung bringt, denn ich werde dieses unbestimmte Gefühl nicht los, dass wir den selben Dingen auf der Spur sind, uns nur von verschiedenen Enden her nähern. Bitte, in einiger Sorge, achten Sie auf Ihre Gesundheit. Was immer sie tun und welche Seiten Sie zu entschlüsseln suchen: Bitte halten Sie mit Ihren Kräften Haus. Ich werde mich hier noch einige Tage aufhalten. M.f.G. G.B.

 

Cawdor Castle

Scotland

10/17/1921

Verehrter Mr. Blueman,

George, es freut mich immer wieder, Nachricht von Ihnen zu hören und zu wissen, dass es Ihnen gut geht. In meinen Gedanken stelle ich mir immer noch die faszinierenden Orte vor, an die es Sie verschlägt und vor meinem geistigen Auge ergießen sich die schönsten Landschaftsmalereien.

Wie sie sehen, bin ich also zumindest geistig bei Ihnen. Doch George hüten Sie sich! Wer weiß, welcher Agenda jener Mann aus Punjab folgt, den Sie mir geschrieben haben. Und George, Sie wissen bescheid, sollten Ihnen die finanziellen Mittel ausgehen, so werde ich keine Kosten und Mühen scheuen um Sie aus dem fernen Britannien helfend zu unterstützen, wie es nun mal

meine Art ist. Selbiges gilt für die Hilfe, sagen wir von etwas sehr exotischer Natur.

Sie sprachen auch davon, dass ich mich schonen sollte. Und seien ihre Briefe eine noch so willkommene Abwechslung, dieses kann ich nicht, will ich nicht und darf ich nicht George!

Ich muss mir diesen Luxus verwehren, denn zu wichtig ist das, was ich grad verrichte. Auch wenn mein Augenlicht von Tag zu Tag schlechter zu werden scheint, brauch ich doch eine Fülle an Leuchten und Lichtern um mich herum, um mich des Abends belesen zu können, wie mir scheint. Zu sehr plagen mich des Nachts, wenn ich denn überhaupt zu einem ungesunden Schlaf komme, die verzerrten Fratzen jener Wegbegleiter, deren verwesende Leichname die Straße pflastern, auf welche uns die Suche nach Wahrheit führt. Besonders der Tod jenes bereits erwähnten Janusz Batki, seinerseits Geschäftsmann, unterwegs in Angelegenheiten, macht mir doch sehr zu schaffen, aber auch all die anderen Namen, die sich nahtlos an Batki fügen. Obwohl ein Kleingeist und obwohl ich ihn nicht lange kannte, war mir jener Geschäftsmann doch irgendwie sympathisch. Sie kennen mich George, Konventionen sind mir einerlei. So verweile ich auf Cawdor Castle, gefangen wie ein Vogel im goldenen Käfig. Auch mein Verhältnis zu George ist sehr viel distanzierter geworden. Seit den Erlebnissen am See Hali, ist er einfach nicht mehr der Selbe, ganz zu Schweigen von den Veränderungen, die Sie oder ich verlebten George. Das Einzige was mir bleibt sind Ihre Briefe und meine Bücher. Und doch habe ich einige Erfolge zu verbuchen, was meine Nachforschungen angeht. Im Auge des Zweiflers mögen sie noch so phantastisch oder gar blasphemisch wirken, doch George, so erscheinen mir nun die Beschreibungen, die ein gewisser von Junzt in seinem Buch ausführt, nun deutlich schlüssiger als noch vor geraumer Zeit.

Er beschreibt einige abscheuliche Kulte und ihre noch abscheulicheren Riten, zu schrecklich, zu unaussprechlich. Und ich kann Ihnen mit nun Gewissheit sagen George, dass was wir vermuteten, bestätigt sich immer wieder aufs Neue. Nein, ich muss mein Schweigen brechen. Bei den Beschreibungen kann es sich nicht nur um Parallelen oder vagen Ähnlichkeiten, Zufälligkeiten zu unseren Erlebnissen handeln George!

Es ist mehr als Ihnen oder mir lieb ist. Erinnern Sie sich an meine Schilderungen in dem Todesfall um Mary Gail? Meine Beschreibung der Abscheulichkeiten, passte unangenehm auf die Ihre, wie Sie sie in Belgrad verlebt haben. Und halten Sie sich fest George! Von Junzt beschreibt einen Kult in Süd-Frankreich der genau diese blasphemischen Monstrositäten anbetet! Zu detailliert und zu passend, als das es sich nicht um jene Wesen handeln könnte, deren schauderliche Gestalten uns in unseren Träumen stets auf Neue heimsuchen. Von Junzt nennt sie „Dunkle Junge“, warum gerade „Junge“? Das habe ich mich genauso gefragt wie Sie sich jetzt wahrscheinlich auch. Ich hoffe, das wird jetzt nicht zuviel für Sie George, aber ich muss dieses schreckliche Wissen mit jemandem teilen.

Von Junzt geht noch weiter! Ja er schreibt, dass diese Abscheulichkeiten nichts Geringeres sind als die Kinder einer noch größeren, weitaus älteren Abnormität, er spricht gar von einer dunklen Fruchtbarkeitsgöttin; „Shupnikkurat, die dunkle Ziege der Wälder mit den tausend Jungen.“ George, stellen Sie sich vor es wandeln tausend wenn nicht gar tausende dieser Kreaturen auf unserer Erde! Was für eine grausige Vorstellung! Nein George ich spreche nicht im Fieber! Sie müssen mir glauben.Ich war noch nie so klar in Gedanken, wie in diesen Momenten. Es sind nicht nur vermutete Parallelen und Ähnlichkeiten George, da ist weitaus mehr als wir uns vorstellen können, als wir uns auch nur im Geringsten vorzustellen vermögen! Und es gibt einen großen Zusammenhang George! Es gibt ihn!

Und mit jedem Wort, jedem Satz, jedem Abschnitt und jeder Seite, die ich lese, erkenne ich mehr, George! Denn gedenken sie dem literarischen Macbeth, seinerseits ebenfalls Thane of Cawdor, so wie ich es bin. Wurde ihm nicht Unbesiegbarkeit weisgesagt, solange an Gültigkeit, als denn der Wald von Birnam zu wandern beginnt! Der Wald beginnt zu wandern, George! Sagen Sie mir, kann dies Zufall sein? Sollte dies mein Schicksal sein? Ich weiß es nicht. Doch jetzt muss ich mich doch ein wenig ausruhen George. Die Stunde ist schon spät und zu nervös, zu zittrig haben mich die geschriebenen Zeilen gemacht.

Ich wünsche Ihnen alles Gute auf ihrem weiteren Weg und ich werde sie weiter unterrichten, sollte ich auf neue Erkenntnisse gestoßen sein.

Hochachtungsvoll

Robert W. P. of Cawdor

 

Cawdor Castle Scotland

10/30/1921

Werter Mr. Blueman. Ich hoffe Sie sind bei bester Gesundheit. Ich schreibe Ihnen hastig diese wenigen Zeilen nicht auf Grund neuer Fortschritte meines Studiums, sondern auf Grund der schrecklichen Tatsache, dass Fredderic Barkham sehr wahrscheinlich tot ist! Ein weiteres Mitglied unseres engeren Zirkels, der den Schrecken, die uns verfolgen zum Opfer gefallen ist. Er schickte mir ein Telegramm aus Ravenscar, einer kleinen Ortschaft in unserem geliebten Mutterland und bat mich um Hilfe. Er deutete bereits jenem Telegramm an, dass er auf „Dinge“ gestoßen sei, die in unser Schema passen. Und George, ich habe versagt! Anstelle ihm selber zur Hilfe zu kommen, bat ich einige unserer Freunde ihm zu helfen, unter anderem Mr. Resotti und Mr. Murphy Law, jenen irischen Söldner, den ich Ihnen schon auf ihrer Reise nach Konstantinopel anempfahl. Bis jetzt hab ich noch keine Nachricht von jenen bekommen, was mich nur das aller schlimmste befürchten lässt. Wieso bin ich nicht selber hingereist, sie kennen doch mein Motto, keine Kosten und Mühen zu scheuen um den wenigen Freunden, die mir verblieben sind zu helfen. Auch wen ich zugegebener Maßen nicht in der besten körperlichen Verfassung bin hätte ich mehr tun können und müssen. George, es ist Freddy der Nachts zu mir spricht und mir Vorwürfe macht, es ist Batky, dessen schmerzverzerrte Fratze mich an den Pranger stellt, es sind all jene die wir auf unserem langen Weg verloren haben, nur um meine Neugierde zu befriedigen. Es zerrt mich innerlich auf. Sobald ich mehr weiß über den Verbleib von Mr. Resotti oder Mr. Law oder die genauen Todesumstände von Mr. Barkham werde ich Sie natürlich davon in Kenntnis setzten. Hochachtungsvoll Robert W. P. of Cawdor PS: George, bitte seien Sie vorsichtig, ich will nicht noch einen Freund verlieren!

 

Bathinda (Punjab) Indien

Chanab Hotel

25.1.1922

Verehrter Sir Robert, lange Zeit haben Sie nichts mehr von mir gehört. Leider aus nur allzu gutem Grund, denn das Klima bekommt mir nicht gut und meine Reise in die Provinz Punjab – so weit der Weg eh war – wurde somit durch unschöne Pausen noch verlängert. Aber letztendlich bin ich mit der nicht den gewohnten Komfort bietenden Eisenbahn in Bathinda, einer Stadt in Punjab angekommen. Hier werde ich mich in einem Hotel in der Nähe des bestimmt, wie die Stadtführer hier meinten – 2000 Jahre alten Fort für einige Wochen erholen und auf Nachricht von Ihnen warten, denn Punjab, mein lieber Robert, ist groß und sie vergassen mir ob Ihres Studiums mitzuteilen, wo denn in diesem Landstrich Ihr Anwesen nun sein mag. Mein Entschluss steht jedoch fest – bevor ich mich in die chinesischen Gefilde begebe – einen Abstecher zum goldenen Tempel von Arimtsar zu machen. Wie ich Ihnen schon berichtete scheine ich unter Beobachtung zu stehen. Je weiter meine Reise geht, um so sicherer bin ich in meiner Übezeugung, dass besagter Turbanträger, ein Sikh, mich zu verfolgen scheint. Noch bin ich nicht sicher, ob dies ein Fluch oder Segen ist und vielleicht bildete ich mir auf meinen fiebrigen Fahrten auch nur ein ihn immer wieder zu erkennen, aber ich verliere die Scheu. Ein Abend speziell, den ich in Ajmar in der Provinz Radjahstan verbrachte, hat mich an meinen Ängsten Zweifeln lassen und führt mich auch gleich abschließend zu einer Bitte an Sie. Aber von vorne: Ich war auf dem Weg zum Hotel, als ich einen zwielichtigen Schatten bemerkte, der sich kurz hinter dem Bahnhof an meine Fersen heftete. Ich selbst – angeschlagen – war nicht auf der Hut, als besagter Schatten für mich in urplötzlicher Geschwindigkeit auf mich zuschoss und versuchte meine Habseligkeiten Herr zu werden... und dies zu meinem Bedauern schaffte. Er rannte, offensichtlich ortskundig, auf die nächste Straßenmündung zu, als er zu seinem und auch meinem Schock, urplötzlich herumgerissen wurde in die Dunkelheit der Gasse. Ein leiser Laut der Überraschung, ein markerschütterndes leises, aber eindeutiges Knacken, ein Schleifen von Kleidung auf rauher Mauer und dann nichts als Stille. Ich folgte dem Gauner und stellte zu meiner Freude fest, dass der Dieb nicht mehr unter den lebenden weilte, worauf mich schon sein verdrehter Hals wies. Nicht weniger erfreut war ich, als ich meine persönlichen Sachen noch dort vorfand, wo er sie im Sterben verloren hatte. Ich raffte die Dinge ungesichtet zusammen und machte mich – so unauffällig ein Engländer in der Nacht im Bahnhofsviertel sein kann – auf meinen Weg weiter zur lockenden Bettstadt. Und da trafen sich kurz unsere Blicke: Der Turbanträger (hatte er mir zugelächelt oder trügte das Licht?) stand am Eingang und verschwand auf seine mir inzwischen bekannte Art und Weise, so, als wollte er sicher gehen, dass ich die Nacht unbeschadet überstehen würde. Damit aber nicht genug. Als ich meine wiedergewonnene Reisetasche auspackte im kärglichen Zimmer, da staunte ich nicht schlecht, als ich in Ihr eine Schallplatte fand. Ja, Sie lesen recht. Eine Schallplatte. Ich habe im Hotel versucht Sie abzuspielen, aber weder Musik noch Sprache sind mir vertraut oder gar verständlich. Der zuständige Nachtportier zuckte auch nichtsahnend die Schulter. Und noch seltsamer: Die Rückseite scheint gar keinen Inhalt zu haben, so, als sei die Platte nur einseitig beschallt worden. Und so zu meiner Bitte: Ich schicke Ihnen die Platte, die aus ungewöhnlich hartem Material besteht, für weitere Untersuchungen. Ich kann Sie bei mir nicht aufbewahren und ich weiß Sie bei Ihnen in guten und vor allem belesenen Händen. Ich weiß nicht, wie Sie in meine Tasche gelangt ist und ob mein Schutzengel auch der Sikh mit dem Turban ist. Ich weiß nur: ich habe diese Schallplatte nicht besessen bis zu diesem Abend und Ihr Inhalt ist mir schleierhaft. Ich traue mich nicht, diesbezüglich mehr Fragen als nötig zu stellen, auch nicht hier in Bathinda. Ich verbleibe noch ca. 4 Wochen in diesem selbstgewählten Exil im Fünf-Ströme-Gebiet und hoffe auf Nachricht von Ihnen. Mir fehlt die Kraft noch für die weitere Reise. Die Tage und Nächte sind lang. Sie verstehen das. Sich heute nach einer Londoner Nacht sehnend, G.Blueman

 

3/27/1922

Sehr geehrter Mr. Blueman, ich muss mich in allerhoechster Form für meine lange Abstinenz gegenüber Ihnen entschuldigen. Ich hoffe Sie haben sich nicht allzu groaae Sorgen diesbezueglich gemacht auf Grund meiner Andeutungen in meinen letzten Briefen. Ich schaeme mich sogar ein wenig, muss ich gestehen, Die Gruende hierfür werde ich Ihnen allerdings zu einem spaeteren Abschnitt dieses Schreibens an Sie erlaeutern. Zunächst jedoch erhoffe ich, dass Sie bei bester Gesundheit sind, denn genauso groß sind meine Sorgen um Sie, hier im weit entfernten Mutterland. Meine Informationen über den Verbleib von Mr. Barkham sind marginal, hoerte ich von Mr. Resotti nicht mehr und nicht weniger, als daß er und seine Begleiter ihn nicht in einem Ort mit Namen Ravenscar gefunden haben. Nachdem Mr. St’ John s wohl zu ihnen stieß, sind sie gegewaertig auf der Reise gen London um dort ihre Nachforschungen weiterzuführen. Aus diversen Gruenden hege ich jedoch nicht die Absicht zu ihnen zu stoßen, meine Arbeit ist zu wichtig, zu essentiell. Dennoch laesst mich letzter Funke hoffen, dass er noch lebt. Ich werde Ihnen natuerlich schnellstens schreiben sollten sich die Umstände aendern. Ihre Ausfuehrungen in ihrem letzten Brief an mich lassen mich das Schlimmste befuerchten. Seien Sie auf der Hut! Jene turbantragende Gestalt schien zwar in jenem Moment wie ein dunkler Schutzengel für Sie gewesen sein, doch mag der Schein trügen. Wer weiß, welche duesteren Ziele er damit verfolgt und wer noch Interesse an ihren Investigationen hat. Vertrauen Sie niemandem! Hüten Sie sich, denn Sie sind allein in der Ferne und meine Hilfestellung die ich Ihnend durch meine Kontakte in diesen fremden Gefilden unseres Erdballs darbieten kann ist aeußerst gering, abgesehen von finanzieller Unterstuetzung. Bleiben Sie unauffaellig. Niemand muss wissen, dass England bei London liegt, wie Sie immer zu sagen pflegen. Ich weiß leider immer noch nicht, welche Agenda Sie in diese fremde Welt treibt, welche Beweggruende Sie in diese gottlosen Laender fuehren, vermute ich doch ehrlicher Weise gedacht mehr dahinter, als Sie mir bis jetzt zu Teil werden ließen. Sollte sich ihre missliche Lage noch mehr zuspitzen, bitte ich Sie Ihre Reise abzubrechen, ich kann es mir zu diesem Zeitpunkt nicht leisten, noch einen Freund zu verlieren. George, ich will ehrlich sein. Sie wissen, genau wie ich, einfach zuviel. Sie ahnen gar nicht, wieviel Sie wissen, Sie ahnen nicht, was mit diesem Wissen in den falschen Haenden passieren kann! Nicht im entferntesten. Ihre mir beschriebenen Erlebnisse im Orient, sind nur eine zunächst absurd klingende aber in letzter Linie logische Konsequenz der Dinge. Eine logische Konsequenz, die mich an diesen Punkt unserer (Un?)Wirklichkeit gebracht hat. Ich verlebe meine Zeit in den letzten Wochen nicht in Cawdor Castle, sonderm in einer meiner kleineren Wohnstaetten. Zur Zeit praeferiere ich jene in Hertfordshire. Ich benoetige ein wenig Abstand von Cawdor Castle, von haeuchlerischen Ladies and Lords, meiner tuschelnden Belegschaft und den Geruechten der Einwohner. George war zwar vehemennt dagegen mich alleine zu lassen, aber er ist immerhin nur mein Butler und nicht mein Vater, Gott hab ihn seelig. Hier habe ich nun endlich die Moeglichkeit gehabt mich intensivst meinen Studien zu widmen. Dies ist auch der Grund warum ich so verspaetet auf Ihren Brief antworte. Die Nähe zur Londoner Universitaet half mir natuerlich nebst der neugewonnenen Ruhe des Exilanten, gewisse Passagen meiner Lektuere schneller und praeziser zu verstehen. Und so kann ich behaupten, dass sich der Preis meines Fleißes, die vielen schlaflosen Naechte, erstes Verständnis bringen; ja selbst mein Augenlicht scheint sich wieder verbessert zu haben und ich fuehle mich wieder gesuender. Moegen die Ausfuehrungen des von Juntzt doch noch so abenteuerlich, obskur oder gar blasphemisch seien, so sind da doch Parallelen, die wir empirisch nachweisbar in all den Jahren verlebten. Doch dies schrieb ich Ihnen ja bereits. Meine anfaenglichen vagen Vermutungen verifizierten sich, als ich in den Besitz zweier weiterer exotischer Bücher kam. Eines jener Schriftstuecke traegt den unscheinbaren Titel eines namenlosen Autors “gjhdgskfsdfgj“, doch stieß ich auch in diesem Buch auf Anspielungen, die keine Zufälle sein können. Die Rede ist von einem maechtigen Boten, einem dunklen Herold der in verschiedensten Masken (Gestalten?) auftritt um die Botschaft seines Herren auf der Erde zu verbreiten. Ich bin mir sicher, daß es nicht mehr lange dauern kann, bis sich mir das tiefere Verstaendnis hinter diesen Passagen offenbart. Derzeit vergleiche noch diverse Passagen in beiden Buechern und gewisse Holzschnitt, auf die ich in der Londoner Universitaet stieß. Ist es nicht erstaunlich, daß von solch einem Boten in vielerlei Mythologie die Rede ist? Der griechische „Hermes“, Sohn des Zeus, oder sein roemisches Pendant „Mercur“. Die alten Germanen nannten ihn „Hermodr“, auch hier ein Sohn des obersten Gottes Odin oder Wodan. Im oestlichen Europa, in Litauen ist er als Alhis bekannt, die Rothaeutigen in Amerika bezeichnen ihn als den Donnervogel und alte mongolische Reitervoelker als Erdenay. Ja selbst in Indien wird er als Garuda verehrt, er wird verehrt! Das etwas jenseits unserer Vorstellung existiert ist mir nun klar, ohne Zweifel, ohne Hader, so wie wahrscheinlich Ihnen ,doch wer ist der Puppenspieler? Oh George du alter Narr, wann sehen wir uns zwei wieder? Bei Regen, Blitz oder Gewitter? Wenn alles wahr sind wir verloren. Hochachtunsvoll und in tiefster Verbundenheit Robert W. P. of Cawdor

 

Bal Kalan

(Nähe Amritsar) Indien

zur Zeit bei Guru Ran Singh

18.5.1922

Verehrter Sir Robert,

ich muß gestehen, dass sich mehr in mir bewegt als je geahnt. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass sich meine Reise nicht nur mehr eine Expedition ist, eine Suche nach Erkenntnissen über das Unbegreifliche, welches wir zwei erahnen mussten; auch ist meine Reise nicht mehr auch ein sinnloses Irren durch ein mich jeden Tag wieder erstaunendes Land; viel mehr habe ich inzwischen – bitte lächeln Sie jetzt nicht Robert, denn die folgenden Worte gehen mir in vollster Ernsthaftigkeit über den Umweg dieser klapperigen Schreibmaschine über die Lippen – das Gefühl, dass ich mich auch auf einer spirituellen Reise befinde, welche, wenn Sie sich an meine Zeilen erinnern mögen, vielleicht Ihren Anfang in Suthri in der Provinz Gujarat auf den Stufen dieses kleinen Tempels begonnen hat. Aber eines nach dem anderen. Meine Genesung schritt langsamer voran, als ich gehofft hatte. Ich weiß nicht, wie, aber immer wieder in teilweise sehr irritierenden Fieberträumen, welche mich schweißtriefend und fröstelnd erwachen ließen, sah ich das Gesicht dieses Mannes, dieses Sikhs vor mir. Schemenhaft, nicht greifbar, mal Engel, mal Verfolger. Und wie wohl sich die Träume auch unterschieden, eines blieb ein ständiges „Thema“, auch und gerade musikalisch will ich dieses Wort nun verstanden wissen: Die Töne, welche ich wiederholt der Schallplatte entlocken konnte, bevor ich sie Ihnen zusandte. Doch weiter, bevor ich Sie zu diesem Thema befragen möchte. Und so wurde mir nur allzu deutlich, dass ich, wollte ich mehr erfahren, meinen Weg, wohin er mich auch führen sollte, weitergehen musste. Ich belas mich (soweit dies in Bathinda möglich war), zog Erkundigungen ein, sprach mit Eingeborenen. Und immer wieder kam ich zu der Auffassung, dass ich mich in das Zentrum dieser Glaubensgruppe, deren Mitglied der Schemen in der Nacht zu sein scheint, begeben musste: Zum goldenen Tempel nach Amritsar, ca. 200km nördlich von Bathinda. Ich will nicht verhehlen, dass ich ein unwohles Gefühl hatte, denn ich bekam eine Art Karte in die Hände, welche die Glaubensstätte von oben zeigte, sozusagen, damit Pilger sich in der großen Anlage zurechtfinden würden. Und diese Karte zeigte einen Tempel, der an einem quadratischen, künstlich angelegten See lag. Wieder drängte sich mir die Assoziation eines riesigen, spiegelnden und im Boden eingelassenen Tores auf, ähnlich, wie es in Mandvi schon mir in den Kopf kam. Aber konnte das sein ? Ich musste mich selbst überzeugen. Also machte ich mich auf den Weg, und meine Reise gestaltete sich länger und beschwerlicher, aber auch ruhiger, denn ich kam zur Ruhe. Je näher ich dem Tempel von Amritsar kam, um so mehr schien mein Herz wieder zu seinem Takt zu finden. Und ich durfte Menschen treffen, sie offenen Herzens sind, Sikhs auf ihrer Pilgerreise, einer Reise, auf der ich auf irgendeine Art nun auch war. Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass der Sikh in Bathinda eher mein Retter war und folglich die Schallplatte ein mir zugesteckter Schlüssel ist zu einem Tor, welches ich noch nicht sehen kann. Aber immerhin weiß ich nun, dass ich das Tor suchen und finden muß. Ob ich es nun öffnen oder verschließen soll: Ich kann das noch nicht sagen, aber eines weiß ich: Wer so eine Vorstellung von der Welt hat, wie sie die Sikhs haben, der kann nicht vom Grundsatz her schlecht sein. Ein Beispiel: Das Wesen der Schöpfung ist nach Überzeugung der Sikh-Religion unergründbar. Das Universum, das sich gemäß dem Evolutionsprinzip (jawohl, so mancher unserer britischen Pfaffen und Gelehrten würde ob dieser Worte wohl aus der Robe rutschen, wenn Sie mir meine Wortwahl verzeihen mögen) fortwährend weiterentwickelt, wird als unermesslich angesehen. Der Wille der Schöpfung manifestiert sich diesem Verständnis nach in den Grundgesetzen der Natur. Der Schöpfer wird als bedingungslos liebend, unendlich, unfassbar, feindlos, namenlos, geschlechtlos – daher auch die Verwendung „Mutter“ für die „Schöpferin“ – und formlos beschrieben. Aber was bedeutet dies für die andere Seite, die Seite, die Sie und ich erdulden mußten ? Heißt dies nicht auch, dass das Böse ebenso unermesslich ist, dass es formlos und ohne Unterschied ebenso so bedingungslos verachten kann, namenlose Grauen hervorbringen kann ? Sie wissen, was ich meine, Robert. Sie und eine Handvoll Männer. Ergo komme ich zu meiner Frage: Was ergaben die hoffentlich erfolgreichen Nachforschungen, um die ich Sie gebeten habe bezüglich des Tonträgers. Ich brenne quasi darauf von Ihnen nach dieser Zeit endlich mehr zu erfahren und werde bis zu Ihrer Antwort in einem kleinen Dorf namens Bal Kalan bei einem Guru wohnen. Um es deutlich auch zu sagen: 2 Herzen schlagen in meiner Brust: Am Tage finde ich zu Ruhe, will meinen Weg des Herzens gehen, gelassen, vom Gefühl getragen, dem Ziel einer langen Suche endlich nahe zu sein,die mich weit von den Zipfeln des Rockes meiner Mutter führt. Doch des Nachts überkommt mich die Getriebenheit, genährt von unwirklichen Augen in der Dunkelheit, welche mich zu beobachten scheinen, Klänge dringen an meine Ohren, von der Kehle keines mir bekannten oder hier lebenden Wesens ausgespien, Töne, die Sie inzwischen auch gehört haben sollten, mein Verehrtester. Ich hoffe inständigst, dass Sie die Platte erhalten haben, denn ich schickte sie nach Cowdor-Castle, wo Sie derzeit nicht zu nächtigen scheinen, wenn ich Ihrem letzten Brief Aktualität unterstellen darf, sofern man davon sprechen kann, bei diesen Entfernungen. Apropos Entfernungen noch auf ein Wort zum Boten Garuda hier in Indien, von dem Sie sprachen, Robert. Wenn ich die Mythologie hier richtig verstehe, so war Garuda ein Töter der Schlangen, ein Sohn, der seine Mutter zu befreien suchte, der Ungerechtigkeit widerfuhr. Natürlich kann sich alles mögliche dahinter verbergen, ich möchte hier auch nicht Ihre Expertise anzweifeln, Robert, auch teile ich ihre Skepsis und finde es seltsam auf der ganzen Welt den gleichen Göttertypus zu finden. Aber ich möchte Sie doch davor warnen, hinter jeder Sache Geister zu sehen. Wir müssen wach sein, uns nicht steuern lassen von der Ahnung, was da noch hinter den Schleiern auf uns warten könnte. Wir müssen objektiv sein, mit dem arbeiten, was wir wissen, nicht paranoid jedem Schatten folgen. Und glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich von folgenden und fliehenden Schatten spreche. In diesem Sinne erfüllende Tage und furchtsame Nächte harrend auf Ihren nächsten Brief, geduldigst und gequält wartend,

Ihr G. Blueman

 

6/14/1922

(1928 InTime Gruppe)

London

Sehr geehrter Mr. Blueman, George, es ist gut zu wissen, dass es Ihnen besser geht, doch zunächst kann ich mich glücklich schätzen, Ihnen eine freudig Nachricht zu übermitteln. Mr. Barkham lebt! Er befindet sich zur Zeit in Flame-borough, einer Ortschaft in der Nähe von Ravenscar, jenem Ort von dem er seine verwirrende Nachricht an mich schickte und darauf hin als verschollen galt. Er wurde dort vom ansässigen Leuchtturmwart aufgefunden. Bedauerlicherweise leidet er unter Amnesie und kontaktierte mich durch einen glücklichen Zufall, da ihm mein Name, den er in einem Adelsregister der hiesigen Bücherei fand erkannte. Ich schrieb ihm schnellstmöglich zurück und werde dafür Sorge tragen, dass er nach London gebracht wird, wo ich ihm mit allen meinen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen helfen werde. In jenem Brief habe ich aus Rücksicht natürlich nicht das ganze Ausmaß jener schrecklichen Begebenheiten, auf die wir in all den Jahren stießen beschrieben und wenn ich so ehrlich sein darf frage ich mich, ob es nicht nicht eher ein Segen ist, als ein Fluch all jenes unheimliche Wissen vergessen zu haben. Enttäuscht bin ich in jener Hinsicht allerdings von unseren anderen Weggefährten, namentlich St. John und Resotti, die derzeit zusammen mit zwei Deutschen, lieber Windmühlen hinterher zu jagen scheinen, anstelle Mr. Barkham zu finden, wie ich es Ihnen aufgetragen hatte. Just musste ich jene beschämenden Zeilen aus der Times lesen, die ich Ihnen nun auszugsweise zitiere. „Ein offensichtlich geistesgestörter und leicht angetrunkener Sodomist bedrängte die Inhaberin und verlangte immer wieder nach einem „grünen Philipino“. Der Mann, der sich als „heiliger John“ ausgab und vor Erregung oder in freudiger Erwartung zitterte, behauptete, er kenne jemanden aus dem Haus, konnte aber nicht zuverlässig sagen wen. Der geistesgegenwärtigen Mrs. Thompson gelang es, den seltsamen Besucher mit einer Tasse Tee zu beruhigen und nachdem er wie wild in ein Notizbuch gekrizelt hatte, verschwand der seltsame „Heilige“ friedlich. Er wird als groß und gut gekleidet beschrieben, benutzt einen Gehstock, wahrscheinlich wegen einer Gehbehinderung.“ Ich fürchte ernsthaft um Mr. St. Johns geistigen Zustand und bin mir ehrlich gesagt nicht sicher ob er den da harrenden Dingen gewachsen sein wird, denn George SIE werden kommen, da bin ich mir gewiss und Sie ahnen es doch auch! Und so kehre ich wieder an Punkt an den mich meine Forschungen gebracht haben. Wie ich in meinem letzten Brief bereits beschrieben habe, komme ich in meinem abgelegenen Londoner Anwesen besser voran, als in Cawdor Castle, besser als vermochte zu denken. Ich kann von mir behaupten, dass ich jenes Werk, welches als die „unaussprechlichen Kulte“ des von Junzt bekannt, berühmt berüchtigt und zurecht gefürchtet sind nun deutlich besser verstehe, als je zuvor, zwar nicht Zeile für Zeile, Absatz für Absatz, ja gar ganze Seiten verschließen sich vor mir, doch im Großen und Ganzen verstehe ich die Intention des Autors. Und meine Vermutungen haben sich bewahrheitet. Wie der Titel des Buches schon verrät, beschreibt Junzt diverse Kulte Rund um die uns bekannte Welt und darüber hinaus, ja George und darüber hinaus! Ein kurzer Aufsatz beschreibt sogar eine „ältere Welt“ belegt mit Querverweise auf neue fremdartige Lektüre,wie dem Buch Eibon, welches St. John vor meinen Augen verbrannte, dem Buch des verfluchten al-Azrad die alle von dem selben Zyklus reden, jener Zyklus der erneut im Umbruch zu stehen scheint und von dem jene Kulten seit Äonen prophezeien. Sie sprachen von einem „Schlüssel“ den sie in Indien suchen. Auch von Junzt beschreibt jene „Schlüssel“, seinen es Orte , Gebete, Geheimzeichen oder wie sie es auch immer nennen mögen. Ja George es gibt ihn, den Schlüssel und laut den Aussagen anderer verfluchter Schriften ist der Schlüssel das Tor, ja die Zeit selbst. Und das was Sie zur Zeit in Indien zu verleben scheinen lässt im Endeffekt auch keinen anderen Schluss zu. Doch richtet sich mein Blick zur Zeit auf ein anderes Buch. Schien es mir Anfangs doch unscheinbar, so enthüllt es mir neues ungeahntes Wissen. Befasste es sich augenscheinlich mit Astronomie und Astrologie, so verdeutlicht es doch nur den unablässlichen Zusammenhang mit allen unseren Begebenheiten. Hier liegt der Schlüssel, George! Es muss nur der richtige kosmische Zeitpunkt gewählt werden, der richtige Ort, alles muss perfekt sein. Es sind keine Schatten denen ich folge und hinterherirre! George es ist die Wahrheit. Jene Wahrheit auf die Sie früher oder später auch in Indien stoßen werden. Ja ich habe Ihre Schallplatte angehört, ja ihre sphärischen grotesken Klänge ließen mich seit langem in einen tiefen Schlaf fallen. Jenen Schlaf den ich seit Anbeginn meiner Suche vermisse. Und auch ich träumte. Was Sie Fieberwahn nennen nenne ich Vision! Noch kann ich nicht genau beschreiben wen oder was ich sehe, welche phantastischen Orte und Gebilde sich mir durch meine Rückkehr in die wache Welt entziehen, doch auch ich treffe auf eine Gestalt, eine Gestalt von wundervoller Anmut, ich vermag ihre Züge nicht zu beschreiben noch verstehe ich (noch?!) ihre Sprache, doch weiß ich, dass diese Person, diese Gestalt, dieser Cherub die Antwort weiß. Die Antwort auf all meine Fragen. Es kann nicht mehr lange dauern! Es ist die Wahrheit, eine unbequeme Wahrheit!

Hochachtungsvoll Robert W. P. of Cawdor

 

Majitha (Indien),

den 26 .August 1922

Feuer, Robert, überall Feuer.

Die Bilder gehen mir nicht aus dem Kopf. Kurze Zeit, nachdem ich Ihren letzten Brief erhalten habe, brach das Chaos los. Ich habe mit Mühe und Not mein Hab und Gut vor den Flammen retten können, beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist. Ich bin froh, noch mein Leben zu haben. Ich befinde mich derzeit in Majitha, nord-östlich von Bal Kalan. Ich verstecke mich hier. Inzwischen kann ich mich den Sitten der Eingeborenen ganz gut anpassen und dank des Guru kann ich nun leidlich ausreichend die Landessprache sprechen. Ja, man erkennt mich als Europäer, aber meine britischen Wurzeln kann ich verleugnen. Ich brauche Hilfe hier. Nein, keine Angst, ich werde nicht Sie, Robert, bitten, zu mir zu kommen. Aber ich befürchte, ich schaffe es nicht alleine. Ich werde versuchen, Resotti zu kontaktieren. Er muss zu mir kommen. Und Sie müssen mir mitteilen, wo ich Ihre Ländereien finde, Sir Robert. Resotti muss kommen. Hierhin nach Majitha. Ich werde mich hier einrichten so lange, bis er eintrifft. Majitha hat eine Bahnstation, daher bietet sich dieses Dorf für ein Treffen an, denn hier fallen Fremde nicht immer sofort auf, denn Majitha ist eine Durchreisestation. Und Resotti ist von dunklerer Hautfarbe. Vielleicht kann er sich in der Landestracht tarnen und seine Fähigkeiten als Fremdenführer wären von großem Nutzen, denn – egal, wie sehr ich voller Bewunderung der trügerischen Schönheit Indiens gehuldigt habe – dieser Kontinent bleibt mir fremd und scheint mit mir zu spielen. Ich weiß nicht mehr weiter. Kaum fühle ich mich irgendwie sicher, zur Ruhe kommend oder einmal gesund, scheint ein böser Geist mich zu vertreiben, anzutreiben. Diese Feuernacht. Ich konnte den alten Mann nicht retten. Die Hütte stand in prasselnden Flammen und schien züngelnde Tentakel nach mir auszustrecken. Nach meinem Körper. Fast wie geformt floss die Glut aus dem Boden heraus scheinbar auf mich zu. Und während ich vor Angst und allseits umgeben von gleißende Hitze panisch schreiend meinem Ende entgegen blickte, fasste eine starke meine Schulter und riss mich herum. Noch während ich dem starken, fast übermenschlichen Zug an meiner Schulter, nachgab, sah ich die Überreste des Gurus auf seiner Bettstatt liegen, gleich einem Scheiterhaufen. Was habe ich von diesem weisen Mann gelernt und nun bin ich der letzte, der von ihm lernen durfte. Und schon lag ich im Freien, unter einem klaren Nachthimmel, in den sich eine fast vulkanisch anmutende Rauchsäule bohrte. Drehte sich die Welt um mich oder drehte sich die Rauchsäule gleich einem Tornado, einem Sturm, der auch die letzte Asche der Hütte, die für einige Wochen die Heimat meines Herzens darstellte, in den Himmel saugen würde, in die Leere zwischen den Sternen, gleich einer roten Zunge, welche die Seelen der Toten von der Erdkruste leckt. Robert. Und ich war nicht allein. Er ist Europäer. Er lächelte mich an, aber das konnte kaum über seine gehetzte Mimik hinaus täuschen. Sagte kein Wort. Will sagen: Kein mir verständliches Wort. Wie durch eine Rauchwand, verschwommen aus dem Hintergrund rufend, höre ich so etwas wie „ShemNachBa“ oder „SchalmNechBen“. Ich weiß es nicht besser zu erinnern, Robert. Aber dieses Gesicht, dieser Mann. Eine selbstsichere Raubkatze, bereit zum Sprung, aber froh, das kleine arme, unschuldige und vor allem unwissende Kätzchen gerettet zu haben, welches in diesem Falle ich war. Und dann umgab mich die Nacht auch innerlich. Das letzte Bild, dass ich noch vor Augen habe, ist diese weiße Strähne im ansonsten nachtschwarzen Haar meines Retters. Ist er es gewesen ? Schickte er den schützenden Sikh ? Ist er der Mann, den Mrs. Li mir als den „besonderen Mann“ beschrieb, den ich treffen sollte ? Hat er seine schützende Hand über mich gehalten ? Hat er mir die Schallplatte zukommen lassen ? Egal. Ich erwachte am Morgen in der Nähe von Majitha, allein am Waldrand, ausgestattet mit ein wenig Geld, in Kleidung wie die der Eingeborenen und, wie er das auch immer geschafft hat, mit meiner Remington-Reise-Schreibmaschine, meinen Aufzeichnungen und Papieren. Sonst nichts. Was sollte ich machen ? Ich tauchte unter, so gut es mir die Umstände erlaubten. Aber das wird nicht für immer gehen. Ich brauche einen sicheren Unterschlupf. Ich fühle mich verfolgt, jeder Umriss im Getümmel, jede Person, die ich vermeine zwei mal zu sehen, und sei dies nur auf dem Basar hier in Majitha, bring mich zum Zittern und schnell den Ort wechseln. Ich bin selber einer der Schatten geworden, die ich fürchte. Wohin kann ich ? Wo ist ihre Länderei ? Sir Robert, spielen Sie kein Spiel mit mir. Aus all unserer neuerlichen Theorie über die überall ähnlichen Götter, ist für mich nun endgültig tödlicher Ernst geworden. Helfen Sie mir. Bevor ich ein Tor finde, dass sich hinter mir schließt in Form einer Anstalt, oder ein Tor, dass wir beide schließen müssen, um nicht weniger offensichtlich Menschenleben zu retten, muß ich ein schützendes Tor finden, ein Haus, das mich umgibt, um einige Nächte zu haben, in denen ich sicher schlafen kann, ohne nur so zu tun, als ob ich schlafen würde und um dann mit einem erstickten Schrei aufzuschrecken. Robert, wenn ich jemals nachvollziehen konnte, was sie mit Ihrer Schlaflosigkeit erleiden müssen, so ist der Zeitpunkt nun gekommen. Ich werde es alleine nicht schaffen. Habe mich übernommen. Mir nach dem Orient-Express mein Ziel zu weit gesteckt. Am liebsten möchte ich wieder zurück. Den schwülen und in jede Faser triefenden Monsun gegen den stets zu kühlen Londoner Regen tauschen. Aber ich kann dies im Moment nicht und weiß auch, dass ich es nicht darf. Für einen höheren Zweck, der mir selber noch nicht klar ist. Wissen Sie, was das Schlimmste ist ? Ich habe mich getraut nach 2 Wochen nach Bal Kalal zurück zu kehren, um nach den Resten der Hütte zu schauen, zu sehen, was mir an Erinnerungen kommt, nach Spuren zu suchen vom Unbekannten. Und wissen Sie, was ich fand ? Einen schwarzen Kreis um den Ort, an dem die Hütte stand. Scharf abgegrenzt, kein Baum versengt, der in der Nähe stand. Die Erde, geschmolzen glänzend, wie, als wäre Sand zu Glas erstarrt. Keine Spur von der Hütte oder vom Guru, so, als hätte der Himmel in geifernder Gier die Hütte und jenen, der mir half, von der Erde getilgt wie ein zorniges Wesen aus den Tiefen des Alls. Was, wenn wieder jemand sterben muss, der es wagt, lange in meiner Nähe zu bleiben ? Wem kann ich trauen und wem muss ich erlauben, mir zu trauen ? Wem mute ich es zu ? Wen riskiere ich für mein Seelenheil ? Ich hoffe, Resotti kommt. Und ich hoffe, dass Sie mir eine Nachricht schicken mit genauen Anweisungen. Ich werde einmal in der Woche zum lokalen Postamt gehen. Ich warte, solange ich es vermag, hier in Majitha.

In höchster Not und Angst,

G. Blueman

 

Nach diesem Brief erhält George Blueman auch Antwort... allerdings mehr Antworten, als ihm lieb ist. Er erhält durch einen mysteriösen Boten ein Briefpäckchen mit einem seltsamen, in ihm undefinierbare Gefühle der Abscheu hervorrufendem Abdruck eines Symbols in unheilvollem Rot und Schwarz gehalten, verbrannt und versengt wirkend. Und allein der Geruch des Gegenstandes lässt in ihm eine unheilgeschwängerte Übelkeit aufkommen. Aber der Verwirrung und Beängstigung nicht genug:

Ihm werden 2 Briefe vom vermeintlich gleichen Mann und angeblich Verbündetem zugetragen -

beide vorgebend, am 20. September 1922 geschrieben worden zu sein.

Doch welchem der Schreiber kann er vertrauen ? Welchem Weg soll er folgen ? Aber urteilen SIE, geneigter Leser, selbst:

Nach Erhalt dieser Briefe flieht Blueman kopflos in fürchterlichem Zustand und deutlicher verringerter geistiger Stabilität aufgrund der grauenerregenden Entwicklung der Ereignisse aus Majitha und taucht unter.

Über ein Jahr irrt er durch Indien, sein Ziel - die chinesische Kaiserreich - nur noch vage vor Augen. Und dann meldet er sich wieder bei Lord Cowdar -

allerdings erst im November des folgenden Jahres 1923. Sein Weg hat ihn bis nach Chutumail nordwärts geführt.

Seine Lordschaft erhält ein seltsam geformtes Paket mit einem Brief anbei, der sich als Zeugnis der Angst und der Hoffnung zugleich entpuppen wird. Das Paket enthält eine Leinwand:

Noch im selben Monat, genauer gesagt am 27. November des Jahres 1923, nachdem das Päckchen den richtigen Empfänger in England fand, machte sich ein anderes Paket auf den Weg nach Chutumail in Indien. Rasch erhält George Blueman Antwort, denn ein Lebenszeichen von ihm wurde auf der anderen Seite der Erdhalbkugel lange und bangend erwartet.